Der bekannteste Kannibale der Welt bittet zu Tisch…
Hannibal Lecter, auch genannt „Hannibal der Kannibale“, erfreut sich, trotz eigenwilliger Tischmanieren und Speiseplan, reger Beliebtheit. Mehrere Schauspieler haben sich an dem Schleckermaul die Zähne ausgebissen, nicht alle waren erfolgreich, an den einen oder anderen erinnert man sich vielleicht nichtmal, aber weil er großes filmisches Potential besitzt, hat man ihm nach diversen Kinofilmen auch eine Fernsehserie gegönnt, in der er seine Persönlichkeit neu und ausgiebig entfalten konnte. Bryan Fuller, der vorher mit „Pushing Daisies“ eine visuell wunderbare Serie geschafften hatte, war maßgeblich für diese neue Version von „Hannibal“ verantwortlich, so dass man sich nicht wundern muss, dass die Serie neue optische Maßstäbe setzt, an die kaum eine andere Fernsehsendung heranreicht. Sie hat es auf drei Staffeln gebracht, die nun in einer Komplettbox vorliegen und die „Abenteuer“ (oder Speisegänge) von Hannibal Lector neu definieren… aber bevor wir dazu kommen gestatten wir uns einen kleinen Rückblick auf die Geschichte des kannibalistischen Feinschmeckers.
Nach den Romanen von Thomas Harris
Mit ihm fing alles an, denn die Figur basiert nicht, wie heute üblich, auf einem Fahrgeschäft in Disneyland oder einer Comicreihe von Stan Lee, sondern ganz altmodisch auf Büchern. Und natürlich dürfte jeder den Hannibal Lecter kennen, Anthony Hopkins (gesprochen von Rolf Schult), der in „Das Schweigen der Lämmer“ in einer kargen Zelle steht und bedrohlicher wirkt, als manch anderer auf offener Straße (oder, um genau zu sein, als er auf offener Straße in der von Ridley Scott inszenierten Fortsetzung „Hannibal“). Dieser Film von Jonathan Demme war ein riesiger Erfolg, auch bei den Oscars, obwohl er ein Horrorfilm war, spannend, düster, fies, brutal – und unheimlich gut. Was aber vielleicht kaum einer mehr weiß, es war nicht der erste Film mit Dr. Lecter, denn wenige Jahre vorher drehte Michael Mann („Heat“, „Miami Vice“, „Collateral“) den Film „Manhunter“ (auch bekannt als „Blutmond“ oder „Red Dragon“), in dem ein Ermittler namens Will Graham (William H. Peterson) einen Killer jagt, wofür er auch den von ihm verhafteten Lecter zu Rate zieht. Der wird hier gespielt in Brian Cox (gesprochen von Manfred „Bruce Willis“ Lehmann) – und ist für manch einen der beste Lecter aller Zeiten. Doch nach dem Erfolg vom „Schweigen der Lämmer“ geriet der Film scheinbar ein wenig in Vergessenheit, bevor man ihn nach „Hannibal“ noch einmal als „Roter Drache“ verfilmte, diesmal mit Edward Norton als Graham und zum dritten Mal mit Anthony Hopkins als Hannibal (der nach dem „Schweigen“ von Joachim Kerzel synchronisiert wurde). Irgendwann wurden mit „Hannibal Rising“ noch „die Abenteuer des jungen Hannibal Lecter“ nachgereicht, ein Film, über den wir den Mantel des Schweigens breiten werden… zumindest für den Anfang. Unterm Strich kann man also sagen, dass Anthony Hopkins die Figur geprägt hat wie kein zweiter, auch wenn er nie wieder an das Niveau des ersten Films heranreichte. Die Frage ist nun also: Kann Mads Mikkelsen ihm das Wasser reichen – oder zumindest das Besteck?
Krankhaft intelligent
Er kann. Mikkelsen ist ein großartiger Schauspieler und im Gegensatz zu Hopkins wirkt er auch dann bedrohlich, wenn er nicht in einer Zelle eingesperrt ist. Lediglich die Tatsache, dass er teils schwer zu verstehen ist, nimmt ein klein bisschen die Freude aus seinen Auftritten, doch darüber lässt sich hinwegblicken.
Sein Gegenpart ist nicht Agent Starling, seinerzeit berühmt gemacht durch Jodie Foster – und weniger berühmt durch Julianne Moore – denn für die scheint man scheinbar nicht die Rechte zu haben? So muss denn einmal mehr Will Graham ins Feld gegen den Menschenfresser ziehen, doch der ist diesmal anders als seine beiden Vorgänger. War Graham vorher eine Figur, die sich einfach in den Geist eines Serienkillers hineindenken konnte und darunter letztlich leiden musste, geht diese Version eher in Richtung eines Autisten – und setzt damit den Trend im Fernsehen fort, dass Intelligenz ihren Preis hat, weil sie irgendwie mit Krankheit oder Störung verbunden ist. „Monk“ war da das beste Beispiel für, aber auch die Brüder im Geiste (und Bewohner von 221B) „House“ und „Sherlock“ zeigen, dass Intelligenz zwar sexy sein kann, aber denn eigentlich doch nur bei funktionierenden Soziopathen (mit Ihrer Telefonnummer!) vorkommt, was uns unterm Strich suggeriert, dass Intelligenz nicht wirklich erstrebenswert ist… oder?
Die TV-Serie
Die Serie beginnt vor dem roten Drachen und erzählt ein wenig die Vorgeschichte, die wir sonst nie wirklich zu sehen bekommen haben. Denn Graham und Lecter haben zusammengerarbeitet, das FBI hat Lecter zu Fällen hinzugezogen, doch irgendwann hat Graham ihn durchschaut und dabei fast sein Leben gelassen… so jedenfalls das, was man uns bislang erzählt hat. Hier wird die Geschichte ein wenig ausgebaut, verändert, erweitert.
Die erste Staffel steht relativ für sich, zeigt uns ein paar neue Perspektiven – und jede Menge wunderschön anzusehende Morde. Die zweite dann beginnt mit einer Art Cliffhanger, auf den man sich langsam hinarbeitet, was ein schönes Konzept ist, führt aber auch Personen und Handlungsstränge aus „Hannibal“ ein. Die dritte Staffel dann ist zwar visuell beeindruckend, inhaltlich aber werden Wege ausgetreten, die schon lange beschritten wurden – und das teils sogar mehrfach. So gesehen ist sie am wenigsten eigenständig, und wir werden gleich sehen, warum.
Wie Sue Elle
Rein optisch ist die Serie ein bisschen eine düstere Version von Fullers „Pushing Daisies“, irgendwie verspielt und versponnen, aber statt bonbonfarben düster und böse. Das ist das Element, was ihr ihren besonderen Reiz gibt. Aaaaber man bedient sich auch bei Dingen, die man so oder so ähnlich schon früher in anderen Inkarnationen der Hannibal-Saga gesehen hat, auch beim „Schweigen der Lämmer“. So ist denn die Geschichte mit Eddie Izzard derjenigen, die Starling von Dr. Chilton über Hannibal Lecters Ausbruchsversuch erzählt bekommt frappant ähnlich. Während zunächst nur visuelle Anleihen genommen werden (auch der brennende Stuhl, den Freddie Lownds dereinst fuhr… zweimal), erweist sich dann gerade die dritte und letzte Staffel als Wiederaufbereitung alter Dinge. Die ersten beiden Folgen entbehren jeglicher Handlung, was sie durch Visualität wettmachen wollen, danach bekommen wir eine Art Remake der anderen Filme, Elemente aus „Hannibal Rising“ und aus „Hannibal“ tauchen auf, bis wir dann eine (erneute) Umsetzung (die dritte) von „Roter Drache“ bekommen – und den hat man schon zweimal gesehen! So bleibt denn die Abschlussstaffel ein wenig enttäuschend, da sie außer visuellen Spielereien der Saga nicht wirklich etwas Neues hinzufügt. Einzig, und ich denke, da dürfen wir dankbar sein, eine Neuverfilmung von „Das Schweigen der Lämmer“ bleibt uns erspart… wahrscheinlich wirklich eine Rechtefrage. Aber, seien wir ehrlich, mit einem derartigen Meisterwerk legt man sich nicht an, denn da kann man eigentlich nur verlieren.
Bonus
Es gibt eine Menge Bonusmaterial, u.a. einen Audiokommentar mit Serienschöpfer Bryan Fuller. Da kann man ein bisschen über die Gedanken, die hinter dieser Umsetzung stehen, aber auch über die Veränderungen zwischen der literarischen Grundlage und der Serie erfahren, denn die eine oder andere Figur hat z.B. das Geschlecht gewechselt. Eine schöne Erweiterung, die einen tiefer in die Serie hineinführt.
Mit
Mads Mikkelsen (Matthias Klie), Hugh Dancy (Marcel Collé), Laurence Fishburne (Leon Boden), Gillian Anderson (Franziska Pigulla), Raul Esparza (Johannes Berenz), Gina Torres (Sabine Arnhold), Eddie Izzard (Michael Iwannek), Richard Armitage (Torben Liebrecht), Dan Fogler (Lutz Schnell), Lance Henriksen (Uli Krohm), Michael Pitt (Björn Schalla)
Fazitbal
Prinzipiell hätte ich es ja schöner gefunden, wenn man die Serie „Lecter“ genannt hätte, allein schon, um sich von dem eher schwachen Film dieses Namens zu unterscheiden. Wer aber neue Einblicke in die Welt des Kannibalen erleben möchte, der wird hier auf seine Kosten kommen – und sich die Finger danach lecken. Denn bei der Visualisierung so manches Mordes kann einem schon das Wasser im Munde zusammenlaufen, so appetitlich ist das angerichtet – und man hat sogar einen Chefkoch engagiert, um die Appetithappen des Kannibalen möglichst appetitlich aussehen zu lassen. Nur wenn man bei Dr. Lecter zum Essen eingeladen ist, sollte man lieber die Veganerkarte spielen… und aufpassen, dass man nicht selbst irgendwann der Hauptgang wird. Die komplette Serie gibt es ab 1.12.2016 auf DVD und Blu-ray. Bon Appetit!