Polizist wird auf eine abgelegene Insel geschickt, um das Verschwinden eines Mädchens zu untersuchen, doch was er herausfindet, ist erschreckend…
Kult-Klassiker
In doppelter Hinsicht – und zumindest außerhalb von Deutschland. Denn auch wenn sich der Film andernorts einer gewissen Bekannt- und Beliebtheit erfreut (er wird u.a. in der wunderbaren und immer wieder zu empfehlenen Serie „Coupling“ von Steven Moffat erwähnt), so hat man es den Deutschen da ein bisschen schwer gemacht – und ihnen mit das schrecklichste, was man im Film zu sehen bekommt, Christopher Lees Frisur, vorenthalten. Für viele Jahre, 47, um genau zu sein, gab es nichtmal eine deutsche Fassung und man weiß ja, dass die für einen Erfolg nicht ganz unwichtig ist, besonders in der Zeit, aus der der Film stammt. In der es ihn also nicht nach Deutschland verschlagen hat. Nun aber gibt es eine und somit ist er nicht nur Kennern und englischsprachigen Menschen zugänglich, sondern, dank der noch taufrischen Synchro aus dem Jahre 2020, eben auch allen anderen, die sich für Kult und Horror und schlimme Frisuren interessieren.
Krimi, Horror, Kult
Ich muss gestehen, als ich den Film vor einigen Jahren zum ersten Mal sah, hatte ich keine Ahnung, was der titulare „Wicker Man“ war. Das Cover zeigte eine gruselige Figur, aber was genau die bedeutet, ließ sich daraus nicht schließen. Eine Gestalt, die des Nachts durch die Gegend schleicht und Leute umbringt? Nuuuuuun, im Film taucht sie erst auf der Zielgeraden auf, und sie ist erschreckend, aber man sollte den Teufel tun und erklären, was es mit dem Ding auf sich hat. Falls Sie es also wissen wollen und sich noch nicht irgendwo haben spoilern lassen, dann müssen Sie die Reise selbst machen. Und die ist voller verstörender Elemente, visuell wie akustisch. Lieder und Bilder, in denen Sexualität im Vordergrund steht, was Sergeant Spassbremse mit dem christlichen Hintergrund natürlich gar nicht gefällt, hält er die Insel und ihre Bewohner doch für vollkommen verkommen, während er sich nach und nach an das Geheimnis herantastet. Und das hat es in sich, denn auch als Zuschauer weiß man nicht, was da gespielt wird. Lügen über Unwahrheiten, was ist hier passiert, was verheimlicht man, was soll das alles? Nun, am Ende löst sich alles auf… wenn auch nicht unbedingt in Wohlgefallen.
Die Synchro
Nach 47 Jahren eine passende Synchronisation hinzubekommen ist eine Herausforderung. Natürlich hätte man lieber eine aus der damaligen Zeit, mit… einer von den vielen Stimmen, die Christopher Lee im Laufe seiner Karriere verschlissen hat, dürften so um die 100 sein, ohne, dass sich jemand wirklich durchsetzen konnte. Und einen, der ihn hier und da mal gesprochen hat, bekommt man ja auch zu hören, wenn auch auf jemand anderem, denn Lothar Blumhagens (sprach Lee u.a. in „Gremlins 2“, Zitat: „Tollwut? Die hab ich doch schon!“) Stimme ist inzwischen auch nicht mehr die gleiche und hier fast nicht wiederzuerkennen, so dass er als junger Christopher Lee dann wohl leider doch nicht mehr so ganz passen würde. Am Anfang tut man sich vielleicht noch ein bisschen schwer mit der Synchro, aber schon bald hat man sich an Bernd Vollbrecht für Woodward und Reinhard Kuhnert für Lee gewöhnt, denn es ist schwierig, heute Stimmen zu finden, die sich in die damalige Zeit nahtlos einfinden können und beide machen das dann doch durchaus gut – und auch Lutz Mackensy auf dem stets schrägen Aubrey Morris (Bewährungshelfer in „Uhrwerk Orange“, Leiter der Irrenanstalt in „Lifeforce“ [und erster Leinwandkuss von Patrick Stewart], Kapitän in Badewanne der B-Arche in „Per Anhalter durch die Galaxis“), macht sich ganz gut, besonders, weil er auch in einer deutschen Fassung aus jener Zeit zu hören gewesen sein könnte, nur eben, wie Blumhagen, in einer anderen Rolle. Auch beim Buch hat man sich Mühe gegeben, zeitgemäß zu sein, so dass das Ganze durchaus stimmig ist, auch wenn man am Schluss den „Wicker Man“ als solchen stehen lässt und nicht übersetzt.
Graf Bondula
Christopher Lee hatte eine lange Karriere, mit guten und schlechten Filmen und vor allen Dingen vielen. Berühmt wurde er als Dracula, den er insgesamt um die 12 mal gab, er gab den Sherlock Holmes, ebenso wie seinen Bruder Mycroft (wenn auch in unterschiedlichen Produktionen), Dr. Fu Man Chu und Rochefort bei drei bis vier „Musketieren“, spielte zum Ende seiner Karrie bei „Star Wars“ mit und den Saruman im „Herrn der Ringe“ und er war Scaramanga, in und „Der Mann mit dem goldenen Colt“, der nur ein Jahr nach Herrn „Wicker“ entstand und in dem auch Britt Ekland dabei war, was sie zum nervigsten Bondgirl aller Zeiten machte. Eine weitere Verbindung zu James Bond gibt es hier auch noch, denn Diane Cilento war Sean Connerys Ehefrau.
Bonus
Jede Menge interessante, erhellende und zumeist rückblickende Betrachtungen, die man aber besser erst nach dem Film genießen sollte, denn den sollte man so unvoreingenommen wie möglich betrachten, um sich von dem, was man zu sehen bekommt, überraschen – und, wenn alles gut geht, auch erschrecken – zu lassen. „The Wicker Man“ gibt es in drei Versionen, als Kinofassung, als Director´s Cut und als Final Cut, der als einziger eine deutsche Synchro hat.
OT: The Wicker Man (1973) – Synchro (2020)
Edward Woodward (Bernd Vollbrecht), Christopher Lee (Reinhard Kunhert), Britt Ekland (Marieke Oeffinger), Diane Cilento (Liane Rudolph), Aubrey Morris (Lutz Mackensy), Ingrid Pitt (Heide Domanowski), Russell Waters (Frank Glaubrecht), Doland Eccles (Lothar Blumhagen)
Regie: Robin Hardy
The Fazit Man
Der Kultstatus ist durchaus gerechtfertigt. Es ist in gewisser Weise ein brillanter Krimi, der sich kurz vorm Ende in einen Horrorfilm verwandelt. Brillant insofern, weil er genau das macht, was ein guter Krimi machen sollte und was man erst wirklich zu würdigen weiß, wenn man die Auflösung kennt, denn dann sieht man, das alles funktioniert, denn der Film gibt einem alle Hinweise, sagt einem genau, was passieren wird, präsentiert einem die Antwort… nur, dass man sie nicht entschlüsseln kann – aber am Schluss passt alles zusammen, genau, wie sich das gehört. Der Weg dorthin ist ein wenig verstörend, aber genau das macht auch seinen Reiz aus. Ab 17.4.2022 auf DVD und Blu-ray.